Ruhr Tourismus denkt urbanes Wandern neu – Authentische und kreative Erlebnisse im Vordergrund

Wandern ist längst kein exklusives Thema ländlicher Destinationen mehr. Auch immer mehr Städte setzen auf das Trendthema. Meist sind es Touren durch urbane Grünzüge und die Peripherie oder klassische Stadtspaziergänge zu bekannten Sehenswürdigkeiten, die die Städte anbieten. Ein neues Projekt aus dem Ruhrgebiet wählt einen ganz neuen Ansatz.

Unter dem Titel „Urban.Trails“ wollen die Verantwortlichen 15 Touren von jeweils sieben bis fünfzehn Kilometern Länge entwickeln, auf denen Gäste tief in die DNA der Region eintauchen können: Ruhrgebietstypische Highlights wie Haldenkunstwerke sollen sich dabei mit bildgewaltigen Orten der Transformation und bislang wenig touristisch erschlossenen Quartieren abwechseln.

Einheimische sollen von Anfang an eingebunden werden

Authentisch und fotogen sollen die neuen Routen dadurch werden. Die Stadtviertel und die dort lebenden Menschen sollten jedoch nicht zur Staffage eines touristischen Reiseerlebnisses degradiert werden, betont Christoph Lottritz, der das Projekt bei Ruhr Tourismus federführend entwickelt hat. „Die Menschen sollen nicht das Gefühl bekommen, in einem Freilichtmuseum zu leben“, sagt der Experte für Aktivtourismus. Vielmehr solle die lokale Bevölkerung mit ihren Ideen und Wünschen in das Vorhaben eingebunden werden, um so von Anfang an Akzeptanz zu schaffen.

Die Stadtviertel und die dort lebenden Menschen sollen nicht zur Staffage eines touristischen Reiseerlebnisses degradiert werden.

Christoph Lottritz
Projektverantwortlicher Urban.Trails

Ein Mural von Case Maclaim in Gelsenkirchen-Ückendorf zeigt große Schmetterlinge und einen Mann, der einen Selfie-Stick in der Hand hält. Es ist eine Neuinterpretation des Gemäldes "Der Schmetterlingsfänger" von Carl Spitzweg.
© Ruhr Tourismus GmbH/Pascal Tönnissen, Künstler: Case Maclaim

„Die Menschen sollen die Chancen sehen, die ihnen das Projekt bietet“, sagt Lottritz. Verdienstmöglichkeiten, Quartiersentwicklung oder auch die Begegnung mit anderen. „Und sie sollen Stolz darüber empfinden, dass ihre Nachbarschaft so facettenreich ist, dass sie sogar Touristen anlockt“, ergänzt der Touristiker.

Kreative, digitale und klimafreundliche Ansätze

Kreative kulinarische oder kulturelle Angebote, Shoppingmöglichkeiten und Events will Ruhr Tourismus in seine neuen Wanderrouten einbauen und dafür insbesondere mit der Kreativwirtschaft zusammenarbeiten. Im Mittelpunkt soll dabei das authentische Erlebnis stehen. Auf künstlich wirkende Elemente wie etwa Selfie-Bilderrahmen oder Rastplätze werde daher explizit verzichtet, sagt Lottritz.  

Stattdessen soll es digitale Ergänzungsangebote für die neuen Halbtags- und Tagestouren geben, etwa Videos, Audiofrequenzen, 360-Grad-Panoramen, 3D- oder Augmented-Reality—Anwendungen, die an einzelnen Standorten und Erlebnispunkten abgerufen werden können und zusätzliche Informationen bieten. Und, was den Verantwortlichen wichtig ist: Zu allen Start- und Zielpunkten der Touren sollen Gäste per ÖPNV an- und abreisen können.

Auch bei der Wegebeschilderung wollen die Verantwortlichen digitale Möglichkeiten ausprobieren, Wege lediglich als digitale Routen anlegen, über die sich Wandernde per App führen lassen können. Auf analoge Ausschilderungen würde dann verzichtet. „Wir wollen verschiedene Beschilderungskonzepte testen und anpassen, bevor wir sie flächendeckend implementieren“, erklärt Lottritz. Dazu gehört auch die Idee, Schilder von lokalen Kunstschaffenden individuell gestalten zu lassen, um die Erlebnispfade weiter auszuwerten.

Expeditive sind überdurchschnittlich am Wandern interessiert, aber durch die bestehenden Angebote im deutschsprachigen Raum werden sie kaum angesprochen.

Christoph Lottritz
Projektverantwortlicher Urban.Trails

Expeditive als Zielgruppe

Als Zielgruppe für die Trails im Blick hat Ruhr Tourismus primär das Sinus-Milieu der Expeditiven - ambitionierte, kreative Trendsetter. „Sie sind überdurchschnittlich am Wandern interessiert, aber durch die bestehenden Angebote im deutschsprachigen Raum werden sie kaum angesprochen“, erläutert Lottritz. Dabei sind die Expeditiven als Zielgruppe hochattraktiv, denn als Trendsetter, an denen sich auch andere gesellschaftliche Gruppen orientieren, können sie weitere Gäste anziehen und damit für zusätzliche wirtschaftliche Effekte sorgen.

Analysen zufolge erwarten Ruhr Tourismus und seine beiden Projektpartner, der Regionalverband Ruhr und der Sauerländische Gebirgsverein, durch die Trails insgesamt rund 15.000 zusätzliche Übernachtungsgäste und mindestens ebenso viele Tagesgäste aus Deutschland und dem nahen Ausland pro Jahr, die für wirtschaftlichen Mehrwert vor Ort sorgen, etwa in der Hotellerie Belegungslücken kompensieren, die seit der Corona-Pandemie durch den zurückgegangenen Geschäftsreisetourismus entstanden sind, gastronomische Angebote nutzen oder im örtlichen Einzelhandel einkaufen. Den zusätzlichen Bruttoumsatz daraus schätzen die Projektverantwortlichen auf über zwei Millionen Euro jährlich.

Ein Mann sitzt auf einer Mauer vor dem Förderturm der Zeche Holland in Bochum
© Ruhr Tourismus GmbH/Pascal Tönnissen

Aber auch durch eine Steigerung der Aufenthaltsqualität sollen Einheimische vom geplanten Projekt profitieren. „Sie können direkt von zuhause aus loswandern und dabei bisher unbekannte Orte mit hohem Freizeitpotenzial in ihrer unmittelbaren Umgebung entdecken. Das bedeutet Gesundheitsförderung und Stressabbau vor der Haustür“, sagt Lottritz.

Auch Tourismus NRW am Projekt beteiligt

Noch ist das Projekt nicht bewilligt, doch die größte Hürde ist bereits genommen: Eine Fachjury hat „Urban.Trails“ für eine Förderung im EFRE/JTF-Programm der Landesregierung empfohlen. Eine Förderbestätigung ist damit quasi Formsache. 

Als assoziierter Partner ist auch Tourismus NRW an dem Projekt beteiligt. Der Landesverband soll die Projektpartner in der nationalen und internationalen Kommunikation und Vermarktung der neugeschaffenen touristischen Angebote unterstützen. Weitere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Erkenntnisse und Ergebnisse des Projekts ihren Weg auch in andere Regionen finden, um dort ähnliche Angebote auf den Weg zu bringen.  

Pilotpartner hierfür sind Düsseldorf und die Bergischen Drei. Schon im Rahmen des Projekts soll in den beiden Städten beziehungsweise Regionen jeweils ein weiterer Urban Trail entstehen. „So“, sagt Lottritz, „wollen wir direkt testen, wie sich unsere Erkenntnisse auf andere Regionen übertragen lassen.“

Autorin