Neustart in Siegen-Wittgenstein: Wie sich ein Tourismusverband neu erfindet

Anfang 2024 stand der Touristikverband Siegen-Wittgenstein kurz vor dem Aus. Der Kreistag hatte beschlossen, dem Verband das Budget zu streichen. Anderthalb Jahre später soll der Verband nun neu durchstarten. Geschäftsführer Daniel Letocha erzählt im Interview, wie es zu der Kehrtwende kam und wie es weitergehen soll.  

Der Geschäftsführer des Touristikverbands Siegen-Wittgenstein, Daniel Letocha, steht vor dem Oberen Schloss in Siegen.
© René Traut

Im Februar 2024 hat die Kreistagsmehrheit beschlossen, den Touristikverband nicht mehr weiter zu finanzieren. Sie waren damals gerade seit einer Woche im Amt. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von der Entscheidung erfahren haben?   

Eine eigenartige Willkommenskultur haben die hier in Siegen-Wittgenstein. Nein, Spaß beiseite, mir war natürlich alles andere als zum Lachen zumute. Um ehrlich zu sein, waren es schon ein paar schlaflose Nächte. Aber für mich war eigentlich schon am Abend der Kreistagssitzung klar: Aufgeben ist keine Option! Ich bin als Geschäftsführer angetreten, um Verantwortung zu übernehmen – da hole ich nicht gleich beim ersten Sturm die Segel wieder ein, auch wenn’s schon recht heftig war.

Sie haben damals ziemlich schnell entschieden, den Beschluss nicht so hinzunehmen, sondern zu versuchen, ihn doch noch rückgängig zu machen. Wie sind Sie das angegangen? Da Sie noch ganz neu in der Region waren, waren Sie ja sicherlich auch noch nicht so gut vernetzt. 

Wenn ein politischer Beschluss einmal gefasst ist, kann man ihn nicht einfach rückgängig machen. Aber mir war schnell klar: Das Ganze war nicht gegen meine Person gerichtet, sondern Ausdruck einer gewissen Unzufriedenheit und Skepsis gegenüber unserem Verband – seiner Sichtbarkeit, seiner Rolle und seiner Wirkung nach innen und außen. Ein Teil der Gründe lag im politischen Raum und damit außerhalb meines Einflusses.

Gemeinsam mit meinem Team und in enger Abstimmung mit dem Landrat und seinem Referat habe ich mich dann gefragt: Wo können wir selbst ansetzen? Wo sind Stellschrauben, an denen wir eigenständig drehen können, und wo müssen wir uns ehrlich hinterfragen und verändern?

Ich habe in dieser Zeit unzählige Gespräche geführt – mit Bürgermeister:innen, Fraktionsvorsitzenden, touristischen Leistungsträgern, Verbänden und Partnern aus der Region. Mir war wichtig, Vertrauen zurückzugewinnen und den Touristikverband wieder sichtbar zu machen. Dazu habe ich unseren Verband und seine Themenfelder auch in verschiedenen touristischen Ausschüssen vorgestellt und deutlich gemacht, welchen Mehrwert unsere Arbeit für die gesamte Region hat.

Mir war wichtig, Vertrauen zurückzugewinnen und den Touristikverband wieder sichtbar zu machen. 

Daniel Letocha
Geschäftsführer Touristikverband Siegen-Wittgenstein

Wo sehen Sie die Schlüssel für den letztlichen Erfolg? Gab es einen Moment, in dem Sie gemerkt haben, jetzt scheinen wir den Durchbruch zu schaffen? 

Der entscheidende Moment war für mich, als ich gemerkt habe: Wir müssen den Blick, das Wording und das ganze Narrativ verändern. Tourismus in Siegen-Wittgenstein bedeutet nicht, Touristenströme zu lenken – die gibt es hier in dieser Form gar nicht. Es geht vielmehr darum, die Region als lebenswerten Raum zu gestalten, in dem Menschen gerne leben, arbeiten und ihre Freizeit verbringen.

Unsere Wander- und Radwege, unsere Naturerlebnisse, aber auch die Kulturangebote das alles wird zu großen Teilen von Einheimischen genutzt. Diese Infrastruktur stärkt die Lebensqualität, bindet Menschen an ihre Heimat und sorgt letztlich auch dafür, dass Fachkräfte hierbleiben oder zurückkehren. Denn wer sich wohlfühlt, kündigt seinen Job nicht, nur um woanders „etwas Besseres“ zu finden.

Ich habe gemerkt: Nahezu alle Menschen hier lieben ihre Heimat und identifizieren sich mit ihr. Und genau das ist unser Ansatz geworden – wir gestalten diese Heimat aktiv mit. Tourismus ist dafür der perfekte Hebel, weil er beides kann: Er wirkt nach außen als Einladung und nach innen als Beitrag zur Lebensqualität.

Wie geht es für den Verband nun konkret weiter? Wie sieht die Neuausrichtung aus? 

Der entscheidende Wendepunkt war der Zukunftsworkshop im Sommer 2024, an dem Vertreter:innen aus Politik, Verwaltung, Tourismuswirtschaft und weitere Partner teilgenommen haben – begleitet vom Team von Realizing Progress.

Die Ergebnisse dieses Workshops haben wir in einer politischen Vorlage zusammengeführt, die im September 2024 über den Fachausschuss in den Kreistag eingebracht wurde. Damit wurde der damalige Beschluss, den Verband aufzulösen, zunächst gestoppt und der Weg für eine inhaltliche Neuausrichtung freigemacht.

Seitdem haben wir intensiv gearbeitet – im Team, mit den Kommunen, der Kreisverwaltung, der Politik und vielen Partnern aus der Region. Das Ergebnis liegt nun vor: Der Kreistag hat unser Strategiepapier vor wenigen Tagen einstimmig beschlossen. Damit wird die Transformation jetzt Schritt für Schritt umgesetzt.

Parallel geht es auch um eine stärkere Verzahnung mit anderen Bereichen des Kreises – also darum, Tourismus, Regionalmarketing, Kultur, Mobilität und Wirtschaft künftig noch enger zu verbinden. Für mich ist das ein starkes Signal: Die Tourismus- und Erlebnisraumgestaltung in Siegen-Wittgenstein hat eine klare Legitimation, eine Zukunft – und den Auftrag, sie aktiv mitzugestalten.

Was nehmen Sie persönlich aus dem ganzen Prozess mit? Und was würden Sie Kolleginnen und Kollegen in anderen Destinationen raten, um nicht erst in eine solche Krise zu geraten?

Es muss nicht gleich um eine Verbandsauflösung gehen – aber Veränderungsprozesse gehören in vielen Regionen längst zum Alltag. Gerade in Zeiten knapper öffentlicher Mittel ist es wichtig, die eigene Arbeit regelmäßig auf Wirkung und Zukunftsfähigkeit zu prüfen.

Dabei geht es nicht ums Sparen, sondern ums Schärfen: Was tun wir – und warum? Welche Zielgruppen erreichen wir wirklich? Und wie gut greifen unsere Aktivitäten ineinander?

Denn Tourismus, Stadtmarketing, Kultur, Nachhaltigkeit oder Wirtschaftsförderung sind oft eng miteinander verwoben. Wenn man diese Bereiche stärker zusammenführt, entstehen neue Synergien, innovative Ideen und manchmal sogar ganz neue Energie.

Solche Prozesse können herausfordernd sein, aber sie schaffen Klarheit und Richtung. Ich persönlich nehme aus dem Weg mit: Transformation ist kein Ausnahmezustand, sondern Ausdruck lebendiger Entwicklung. Wer Veränderungen aktiv gestaltet, stärkt seine Organisation – und macht sie fit für die Zukunft.

Wer Veränderungen aktiv gestaltet, stärkt seine Organisation.

Daniel Letocha
Geschäftsführer Touristikverband Siegen-Wittgenstein

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