„So wenig wie möglich touristische Extrawürste“ – Münsters neue Tourismus- und Kongressstrategie setzt auf Durchmischung

Münster hat eine neue Tourismus- und Kongressstrategie. Damit will die Stadt ihre Attraktivität als Reiseziel und Veranstaltungsort weiterentwickeln. Ziel ist, die Aufenthaltsdauer der Gäste zu verlängern, Münster als Tagungs- und Wissenschaftsstandort zu stärken und den Tourismus nachhaltig in das städtische Leben zu integrieren. Warum es Zeit für eine neue Strategie war, welche Zielgruppen die Stadt künftig in den Fokus rücken möchte und was die Strategie von anderen unterscheidet, erklärt Bernadette Spinnen, Leiterin von Münster Marketing, im Interview.

Bernadette Spinnen, Leiterin Münster Marketing
© Anke M. Leitzgen

Im März haben Sie eine neue Tourismus- und Kongressstrategie für Münster vorgelegt.  Was waren die Beweggründe dafür?

Bernadette Spinnen: Die Welt ist derzeit im größten Umbruch aller Zeiten begriffen. Wir müssen uns auf allen Feldern auf eine neue Zukunft einstellen – da sind das Reisen der Menschen und ihre Freizeitgewohnheiten nicht ausgenommen. Zudem arbeiten wir in Münster schon länger daran, unsere Erkenntnisse und Erfahrungen zu einer Strategie zusammenzufassen.

Was unterscheidet Ihre Strategie von anderen Tourismusstrategien in Nordrhein-Westfalen oder Deutschland?  Gibt es bestimmte Ansätze oder Schwerpunkte, die Sie bewusst anders setzen?

Spinnen: Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal ist vielleicht, dass wir keine Tourismusstrategie im herkömmlichen Sinne entwickelt haben. Es ist eher ein Konzept für unsere Stadterzählung für alle, die sich in unserer Stadt bewegen und sie bewusst wahrnehmen wollen. Sie hat daher weder die Sehenswürdigkeiten noch die Übernachtungszahlen im Fokus, sondern die Stadt als Lebens-, Aufenthalts- und Bewegungsraum.

Unsere neue Strategie hat weder die Sehenswürdigkeiten noch die Übernachtungszahlen im Fokus, sondern die Stadt als Lebens-, Aufenthalts- und Bewegungsraum.

Bernadette Spinnen
Leiterin Münster Marketing

Deshalb ist auch der partizipative Erarbeitungsprozess selbst Teil der Strategie: Ein großes und vor allem vielfältiges Spektrum an Sichtweisen wird dabei zusammengeführt und klug kuratiert. Damit kann auch das nicht auf den ersten Blick touristisch relevante Erfahrungswissen über die Stadt in die Strategie Eingang finden – zum Beispiel nicht nur Themen der Innenstadt, sondern auch der Stadtquartiere, nicht nur beliebte und ausgewiesene Lieblingsorte vieler, sondern auch stillere Ecken … Das Konzept ist daher auch nicht in erster Linie mit den touristischen Leistungsträgern erarbeitet worden. Die Hauptrolle haben eher tourismusferne Gruppen gespielt und ganz besonders junge Menschen unter 30.

Welche Zielgruppen wollen Sie künftig primär ansprechen und warum?

Spinnen: Wir haben die Zielgruppen nicht in erster Linie aus Wertschöpfungsgründen im Blick. Wir adressieren zum Beispiel junge Leute, weil alle – auch und gerade die älteren – eine junge Stadt attraktiv finden. Sie müssen die „jungen Orte“ nicht selbst besuchen, aber sie sollen sie als Teil der Stadtatmosphäre wahrnehmen und sie gerne auch ihren Gästen zeigen. Ansonsten sollten unsere Gäste so divers sein, wie unsere Bevölkerung – gerne auch etwas diverser und bunter, wenn ich mir etwas wünschen dürfte.

Ein Ziel, das Sie mit der neuen Strategie verfolgen, ist die Verlängerung der Aufenthaltsdauer Ihrer Gäste.  Welche Ansätze verfolgen Sie, um das zu erreichen?

Spinnen: Wir brauchen in Münster keine zusätzlichen Highlights, um Besucher:innen länger zu halten. Wir müssen sie nur ermuntern, zusätzlich zu ihren beruflichen Terminen die Chance zu ergreifen, durch die Stadt und die Quartiere zu schlendern und sich eine gute Zeit zu machen. Natürlich hilft dabei ein gutes Preisangebot der Hotels – keine Frage. Darüber werden wir mit den Betrieben auch sprechen. Aber letztlich müssen wir daran arbeiten, die Qualitäten der Stadt leicht, beiläufig und auf kurzen Wegen leicht zugänglich zu machen.

Wir brauchen in Münster keine zusätzlichen Highlights, um Besucher:innen länger zu halten. 

Bernadette Spinnen
Leiterin Münster Marketing

Stände vor historischen Gebäuden beim Hansemahl in der Innenstadt von Münster
© Münster Marketing/Juliane Unkelbach

Wir brauchen aber auch ein überzeugendes Angebot für den Mix aus Arbeit und Freizeit: Arbeitsorte im Freien mit Schatten (und Strom), Ruheinseln in der Stadt, ruhige Räume mit guter digitaler Infrastruktur in der Nähe von Natur und erreichbarem gastronomischen Angebot.

Sie formulieren auch, dass der Tourismus nachhaltig ins städtische Leben integriert werden soll.  Wie kann das aussehen?

Spinnen: Das ist eine ganz spannende und gewinnbringende Aufgabe für die Stadtgesellschaft, finde ich. Münster kann das schon ziemlich gut. Im öffentlichen Raum kann man die Gäste kaum von den Bewohner:innen unterscheiden. Das ist schon mal eine Voraussetzung für ein gutes Ineinander von Gästen und Bevölkerung. Overtourism ist ja genau daran erkennbar: Man kann beide Gruppe auf den ersten Blick unterscheiden.

Damit die Durchmischung gelingt, darf es so wenig wie möglich touristische Extrawürste geben. Der rote Sightseeing-Bus etwa wird auch von Hochzeitgesellschaften genutzt oder von anderen städtischen Interessenten. Unsere Feste sind in erster Linie für die Bevölkerung gemacht und wir freuen uns, wenn auch Gäste sie wahrnehmen – nicht umgekehrt – etwa beim Taylor Swift-Konzert. Umgekehrt laden wir auch zum kleinen Hoffest oder zum Hinterhofflohmarkt Gäste ein – glanzvolle Events sind das nicht. Dass wir den Menschen künftig Spaziergänge vorschlagen werden, auch in die Stadtteile, gehört deshalb zum Konzept der Vermischung von Stadtleben und Gastfreundschaft.

Sie haben Ihre Strategie sicherlich bewusst Tourismus- und Kongressstrategie genannt.  Sie betrachten also beide Themen gemeinsam.  Auch das Potenzial als Wissenschaftsstandort nennen Sie in Ihrer Strategie.  Wie wollen Sie diese Themen konkret zusammenbringen und touristisch in Wert setzen?

Spinnen: Wir unterscheiden in diesem Konzept zunächst nicht zwischen den Gästen: Jede und jeder, der oder die hier seine Freizeit oder einen Teil seiner beruflichen Zeit verbringt, gehört ebenso dazu wie die Bewohner:innen und die Menschen aus dem Umland.

Ein professionelles Kongressmanagement gibt es natürlich trotzdem: Das kümmert sich um die Kongressveranstalter:innen, begleitet sie auf dem anstrengenden Weg zu einer besonderen Tagung und versucht, auch für diese Zielgruppe das Münster-Gefühl zu vermitteln. Dazu gehört, dass wir möglich machen, dass die Tagungsteilnehmer:innen möglichst viel von Münster sehen und fühlen: den Stadtraum, die Naturqualitäten, das kulinarische Angebot. Die ganze Stadt ist der Tagungsraum! Wenn man mit diesem Blick auf die Stadt schaut, entdeckt man plötzlich viele neue Räume und interessante Orte, was allerdings nicht bedeutet, dass damit alles leicht wird – eher im Gegenteil: Die Skalierung der Angebote ist extrem anspruchsvoll. Aber: Die Liebe zum Detail und zum individuellen Angebot ist die Königsklasse im Städtetourismus und die „Kultur der Ambition“ ist das, was wir alle für eine gute Zukunft brauchen.

Wer tiefer in die Strategie eintauchen möchte, findet sie hier:  www.stadt-muenster.de.

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