Die Unfertigen: 25 Jahre Tourismusentwicklung im Ruhrgebiet

Die Ruhr Tourismus GmbH (RTG) feiert dieses Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. Ziel der Gründung war es damals, dem Ruhrgebiet ein eigenes touristisches Profil zu geben und es damit auf die touristische Landkarte in Deutschland zu setzen. Warum es manchmal gut ist, unterschätzt zu werden, und was ihn selbst noch überrascht am Ruhrgebiet, erklärt RTG-Geschäftsführer Axel Biermann im Interview.

Axel Biermann, Geschäftsführer der Ruhr Tourismus GmbH
© Ruhr Tourismus GmbH

Als Ruhr Tourismus vor 25 Jahren gegründet wurde, waren viele wahrscheinlich erst einmal verwundert, teilweise wurde der Wunsch, das Ruhrgebiet zu einer Tourismusregion zu machen, sicherlich auch belächelt. Wie sind die Reaktionen heute, wenn Sie vom Ruhrgebiet als Reiseziel sprechen?

Wir sind eine oft noch immer unterschätzte Region, auch wenn wir nicht mehr völlig unbekannt sind. Aber aus touristischer Sicht gibt es hier noch großes Potenzial. Das können wir uns aber auch zunutze machen. In unserer neuen Strategie greifen wir das auch auf und zeigen uns als „unfertig“, was für diejenigen besonders attraktiv ist, die kreativ sind und Lust haben, Unperfektes zu entdecken und noch Unbekanntes zu erleben.

Sie werben für die Region als eine Region, die überrascht, in der es noch vieles zu entdecken gibt. Sie selbst sind seit 15 Jahren Geschäftsführer der RTG, seit 26 Jahren sind Sie im Ruhrgebiet. Gibt es Dinge, die auch Sie selbst noch überraschen?

Ich finde es auch nach 26 Jahren immer noch überraschend, mit welcher Energie und welchem Umsetzungsdrang die Menschen im Ruhrgebiet neue Ideen entwickeln und dann anpacken und machen.

Ich finde es auch nach 26 Jahren immer noch überraschend, mit welcher Energie und welchem Umsetzungsdrang die Menschen im Ruhrgebiet neue Ideen entwickeln und dann anpacken und machen.

Axel Biermann
Geschäftsführer Ruhr Tourismus GmbH

Viele Menschen stehen am Tag der Trinkhallen 2022 vor einer geschmückten Trinkhalle in Bochum.
© Ruhr Tourismus GmbH | Dennis Brögelmann

Auf welche Erfolge in den vergangenen 15 Jahren sind Sie besonders stolz?

Seitdem wir 1998 mit einer Tourismusentwicklung begonnen haben, haben sich sowohl die Ankünfte als auch die Übernachtungszahlen bis zum Rekordjahr 2019 mehr als verdoppelt auf 4,4 Mio. Ankünfte und 8,6 Mio. Übernachtungen. Das ist schon ein Riesen-Erfolg, weil wir im Prinzip nicht bei null, sondern aufgrund unserer damals schwierigen Image-Situation im „Minusbereich“ gestartet sind. Auch auf Formate wie die RUHR.TOPCARD, die mit über 230.000 verkauften Exemplaren in 2019 die erfolgreichste All-inclusive-Touristcard Deutschlands ist, blicke ich mit großem Stolz. Genauso wie auf die ExtraSchicht mit rund 200.000 Besuchen jährlich. Der erste Tag der Trinkhallen 2016 hat eine enorme Medienresonanz, auch überregional, erfahren. Das ist fantastisch, und dass das auch andere so sehen und das Ruhrgebiet vom National Geographic als eines von Top-25-in 2022 im Bereich „Nachhaltigkeit“ anerkannt und ausgezeichnet wurde, ist aller Ehren wert.

Mit der Ruhr.Topcard, dem Tag der Trinkhallen oder auch der Extraschicht haben Sie Angebote im Portfolio, die gerade auch bei Einheimischen sehr beliebt sind. Welche Rolle spielen die Bewohner:innen in Ihrer Arbeit und Ausrichtung insgesamt und hat sich das in den vergangenen 25 Jahren verändert?

Was mit der Internationalen Bauausstellung IBA Emscher Park 1999 mit der Inwertsetzung der montanindustriellen baulichen Hinterlassenschaften als Initialzündung für ein gemeinsames Identitätsbewusstsein im Ruhrgebiet begann, setzen wir seitdem mit der Route Industriekultur, die übrigens im kommenden Jahr ihr 25-jähriges Bestehen feiert, der ExtraSchicht oder auch der Ruhr.Topcard weiter fort. Wir verstehen unsere Veranstaltungen und Projekte immer auch als identitätsstiftend nach innen und Teil einer Regionalentwicklung, die dazu beiträgt, die Lebensqualität vor Ort zu steigern bzw. zu vermitteln. Es ist wichtig, die Menschen vor Ort mitzunehmen. Wir haben 5,1 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Wurde Tourismus im Ruhrgebiet vor 25 Jahren belächelt, so ist die Bevölkerung heute – zu Recht – kritischer, wenn es zum Beispiel um das Thema Nachhaltigkeit geht. Aber auch hier kann der Tourismus ein wichtiger Impulsgeber sein. Über den Radtourismus in der Freizeit kann man Menschen auch für das Radfahren im Alltag begeistern. Das zu vermitteln, ist auch unsere Aufgabe.

Über den Radtourismus in der Freizeit kann man Menschen auch für das Radfahren im Alltag begeistern. Das zu vermitteln, ist auch unsere Aufgabe.

Axel Biermann
Geschäftsführer Ruhr Tourismus GmbH

Sie möchten, dass das Ruhrgebiet bis 2030 genauso touristisch attraktiv und erfolgreich ist wie die Trendsetter der europäischen Kreativ-Destinationen. An welchen Stellen muss die RTG noch ansetzen, um dieses Ziel zu erreichen?

Es ist immer noch nicht gelernt, dass wir ein touristisches Ziel sind. Wir müssen immer noch die Region als solche promoten. Das tun wir jetzt verstärkt mit Blick auf die Zielgruppe der Expeditiven, also derjenigen, die besonders erkundungsfreudig, neugierig auf Neues abseits ausgetretener Touristenpfade und sehr bild- und internetaffin sind. Hierzu haben wir Videos gedreht, Fotos gemacht und damit eine ganz neue, eigene Bildwelt und Bildsprache geschaffen, die wir vor allem über die Social-Media-Kanäle ausspielen. Hier haben wir schon sehr eng mit der großen Kreativszene, die wir im Ruhrgebiet haben, zusammengearbeitet. Wenn das noch weiter an Fahrt aufnimmt, auch weil die Kreativen selber ihre Arbeit, die sie mit uns zusammen gemacht haben, auf Instagram und Co zeigen, dann sind wir schon ganz nahe dran an den europäischen Kreativstädten wie Antwerpen oder Bilbao. Daneben erfahren auch bekannte Formate wie die ExtraSchicht behutsam Neuerungen, um für ein neues Publikum attraktiv zu werden, und gleichzeitig für das bestehende interessant zu bleiben.

Interview